NWX22 - Ein Tag in Hamburg 5.0

05.10.2022

2.000 Menschen, 100+ Sprecher:innen auf 10+ Bühnen und 1 Thema: NEW WORK. Einige Wochen später fragen wir uns „Was blieb hängen von der NWX 2022?“

16:12 Uhr. Noch immer sitzen wir im Störtebeker in der traumhaften Elbphilharmonie. Von der letzten Reihe haben wir uns in der Umbaupause in die vordere Reihe gekämpft. Wir sind schon gespannt auf den Vortrag von Gregor Gysi, aber jetzt kommen erstmal Berit Jürgensen (Principal Executive NewPlacement & Karriereberatung Kienbaum) und Dr. Sandra Breuer (Geschäftsführerin von loop – creating places) auf die Bühne. Ihr Vortrag trägt den Titel „Kein Büro ist auch keine Lösung: Wo werden wir in Zukunft arbeiten?“.
16:15 Uhr. „Die rasante Flexibilisierung unserer Arbeitsplätze hat einen gewaltigen Transformationsprozess in Gang gesetzt: Das klassische Büro wird nicht mehr gebraucht, aber dennoch gewollt. Der Flächenbedarf verändert und verschiebt sich. Nutzungsszenarien von Immobilen müssen flexibler gedacht und stadträumliche Zusammenhänge nachhaltig aktiviert werden.“ heißt es. Okay und was bedeutet das jetzt genau?
Die Expertinnen vertreten den Standpunkt, dass Büros künftig mehr und mehr Erlebnisorte werden. Orte, zu denen Menschen gehen, um mit anderen Menschen in die Interaktion zu kommen und einen sozialen Event zu erleben. Und das mit allen Sinnen. Büros haben neuerdings Wettbewerb. Das etablierte Homeoffice überwiegt oftmals mit seinen Vorteilen gegenüber dem klassischen Büro. Es liegt durchaus deutlich näher an der Wohnung, Fahrtzeiten fallen faktisch weg, der ökologische Fußabdruck wird kleiner und es herrscht häufig mehr Ruhe vor. Da muss das Büro schon einiges an Mehrwerten mit sich bringen, um dort hinzuwollen. Bloß was kann das sein? Das müssen Unternehmen beantworten können. Aus meiner Sicht eine schöne Fragestellung. Nehmt die doch einfach mal für euch mit.

17:15 Uhr. Dr. Michael Trautmann sitzt bereits unmittelbar vor uns, Dr. Gregor Gysi wird noch verkabelt. Zwei Doktoren, die Erwartungen sind spürbar hoch. Bei uns und bei den anderen Zuschauenden in dem proppe vollem Lokal. In ein paar Tagen wird die Warn-App auf dem Smartphone aufleuchten. Nicht gut.
Gysi polarisiert. Das mag ich an der Stelle erwähnen, man muss seine Politik nicht gut finden, um ihm gerne zuhören zu mögen. Ich mag ihm zuhören. Sein Lebenslauf vielleicht einmalig, sein Geschick auffallend erfolgreich, seine Wirkung und Rhetorik überragend.
Trautmann gewohnt einladend, zurückhaltend, ruhig und mit Wirkung. So wie man ihn aus dem Podcast „On The Way to New Work“ kennt. Passt.
Michael Trautmann führt mittels wiederkehrender Frage, wie in über 300 Podcastfolgen erlebt, durch das Gespräch. So ist zumindest auch hier die Idee. Gregor Gysi beantwortet höflich die Fragen… nun ja, fast. Er spricht in bekannter Ausführlichkeit von seiner Lebensgeschichte. Amüsant, kurzweilig, bildreich und mit Anekdoten untermalt. Bloß worum geht es hier? Der Titel der Veranstaltung „Wohin steuert die Arbeit? Ein Gespräch mit Gysi“. Gysi spricht von der Einsamkeit durch Computerarbeit, die Notwendigkeit einer Streitkultur, seiner Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen und der Tatsache, dass ihm Gerechtigkeit äußerst wichtig ist. Und über das Gendern wird gesprochen. Auch hier hilft eine Anekdote seines Lebens. Vor Jahren wurde er gefragt, ob es nicht eine Idee wäre, nach über 2000 Jahren der maskulinen Schreibweise auf eine feminine zu wechseln. Unter Gerechtigkeitsaspekten durchaus eine Alternative in seiner Gedankenwelt. Die Tatsache, dass er dann allerdings als Rechtsanwältin betitelt werden würde, hat seine Schmerzgrenze erheblich überschritten. Schade, wenn einem der Wert Gerechtigkeit wirklich wichtig erscheint. Wichtig ist ihm auf jeden Fall, dass sich die Verhältnisse ändern und nicht nur die Schreibweise. Da hat er kein Unrecht, bloß womit beginnt eine Veränderung? Darf man etwas bewusst ausklammern, auch wenn es hilfreich sein könnte? Wer macht womit den ersten Schritt? Welche Wirkung hätte es, wenn ein Dr. Gregor Gysi sich als Rechtsanwältin betiteln würde? Wenn ein Gysi Gesicht für eine Bewegung wäre? Sicherlich ein unterschätztes Potential.
Wir nähern uns dem Ende des Gesprächs. Schnell geht es noch um die Arbeit der Zukunft, Nachhaltigkeit und junge Menschen. Gysi gibt den „Jungen Menschen“ recht, „wir brauchen eine Zukunftspolitik“. Was möchte er den 13 bis 17-Jährigen von heute mitgeben? Kompakt gesagt, „Arbeit macht nicht immer Spaß, aber sie ist notwendig“.
Trautmann freut sich auf ein zweites Gespräch mit Gysi, an einem anderen Tag. Was nehmen wir von dem Gespräch mit? Gysi ist eine Marke. Eine Marke, die wir kennen und die wir mögen. Eine Marke, die das Potential auch noch für künftige Innovationen hat. Innovationen, von denen wir in dem Gespräch gerne etwas mitgenommen hätten. „Hätte, hätte Fahrradkette“ heißt es hier im Norden, wenn über vertane Chancen philosophiert wird. Immerhin war es unterhaltsam.

18:03 Uhr. Es geht zurück in den großen Saal der Elbphilharmonie. Ben Hammersley (Zukunftsforscher) wartet nicht auf uns.

Autor: Sebastian Seger